Berlin. Die Vorschläge der Expertenkommission für eine Reform des Abtreibungsparagrafen 218 im Strafrecht wurden mit Spannung erwartet. Nun hat die von der Ampelregierung eingesetzte Runde ihre Empfehlungen vorgestellt – doch Folgen haben sie erst einmal nicht: Der Expertenbericht sollte Grundlage sein für eine Debatte, die Politik und Gesellschaft miteinander führten, erklärte Vizeregierungssprecherin Christiane Hoffmann am Montag in Berlin. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erhoffe sich eine ruhige und sensible Diskussion, die eine Polarisierung beim Thema Schwangerschaftsabbrüche vermeiden kann, so Hoffmann. Unter Zeitdruck sei das nicht möglich.
Klare Empfehlungen
Damit ist die Frage beantwortet, wie die Koalition das heikle Thema wohl angehen wird, wenn ihre erste Lösung – es eben an eine Expertenrunde zu delegieren – auf dem Tisch liegt: gar nicht. Dabei fielen die Vorschläge der Kommission erstaunlich klar aus: Abtreibungen sollten in Deutschland künftig nicht mehr grundsätzlich strafbar sein, empfahlen die Experten.„Die grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Abbruchs in der Frühphase der Schwangerschaft ist nicht haltbar“, sagte die für das Thema zuständige Koordinatorin in der Kommission, die Strafrechtlerin Liane Wörner von der Universität Konstanz, bei der Vorstellung des Berichts am Montag in Berlin. „Hier sollte der Gesetzgeber tätig werden und den Schwangerschaftsabbruch rechtmäßig und straflos stellen.“
Zwar sind Schwangerschaftsabbrüche faktisch auch jetzt schon in der Frühphase straffrei möglich, wenn die Frau sich zuvor hat beraten lassen. Auch wenn bestimmte medizinische Gründe vorliegen oder nach einer Vergewaltigung sind Abbrüche möglich, ohne sich strafbar zu machen. Dies sind allerdings Ausnahmeregelungen im Strafgesetzbuch, das Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich unter Strafe stellt. Die Expertinnen empfehlen auch eine Neuregelung zu Schwangerschaftsabbrüchen, die auf Sexualdelikte zurückgehen. Bei einer Vergewaltigung gebe es laut Gesetz nur eine Frist von zwölf Wochen, bis zu der ein Abbruch für die ausführenden Ärztinnen und Ärzte nicht strafbar sei. Das sei aber „zu eng bemessen“, heißt es.
Eine schnelle Reform ist aber von der Ampel nicht zu erwarten. Man werde den Bericht gründlich auswerten und verfassungs- und völkerrechtliche Argumente prüfen, kommentierte auch Justizminister Marco Buschmann (FDP) die Empfehlungen am Montag. „Was wir nicht gebrauchen können, das sind Debatten, die die Gesellschaft in Flammen setzen oder gar spalten.“ Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) nannte die Empfehlungen eine gute Grundlage für einen nun notwendigen offenen und faktenbasierten Diskurs, und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erklärte: „Am Ende braucht es dafür aber einen breiten gesellschaftlichen und natürlich auch parlamentarischen Konsens.“
Die Organisation Pro Familia, die bundesweite Beratungsstellen zu Sexualität, Verhütung, Kinderwunsch und auch Schwangerschaftsabbruch betreibt, zeigte sich von der Reaktion enttäuscht. Sie hätte sich erhofft, dass die Bundesregierung die Vorschläge in geltendes Recht umsetzt, sagte Bundesvorsitzende Monika Börding dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Dabei müsse das Vertrauen in die Schwangeren im Vordergrund stehen. „Die Regierung muss deshalb den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafrechts regeln und die verpflichtende Beratung vor dem Schwangerschaftsabbruch sowie die Wartezeit abschaffen“, so Börding. „Sie sollte zudem den von der Kommission benannten Spielraum für eine Verlängerung der Frist nutzen.“
Caritas kritisiert Entwurf
Die Gegenposition vertritt der Caritasverband: „Wer das Selbstbestimmungsrecht der Mutter und das Lebensrecht des Kindes im Schwangerschaftskonflikt gleichermaßen respektieren und in ihrer spannungsreichen Beziehung überzeugend schützen will, darf nicht die Menschenwürde des ungeborenen Kindes zur Disposition stellen,“ erklärte Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa am Montag.
Auch die Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU), kritisiert die Ergebnisse des Expertengremiums: „Die weitergehenden Vorschläge der Kommission stehen in offenem Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes. Den gesetzgeberischen Spielraum, den die Kommission behauptet, sehe ich nicht“, sagte sie dem RND. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und deren Sozialdienst Diakonie verwiesen auf eine eigens eingesetzte Arbeitsgruppe, die sich derzeit mit dem Thema beschäftige.
Die Kommission hatte sich auch mit den Themen Eizellspende und Leihmutterschaft beschäftigt. Eine Legalisierung der Eizellspende sehen die Experten als zulässig, „sofern sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, die insbesondere den notwendigen Schutz der Spenderinnen und das Kindeswohl gewährleistet“, heißt es. Auch die Legalisierung von Leihmutterschaften ohne kommerzielle Absichten schließt die Kommission nicht aus.