Kiel. Vom Abenteurer zum Klimaschützer: Arved Fuchs bricht mit seiner Crew ins Nordmeer auf, um auf die Überhitzung der Ozeane aufmerksam zu machen. Eines ist gewiss: Kaffee hat er für die 1800 Seemeilen genug an Bord.
Ausgerechnet die Köchin geht an Krücken, ein Fahrradunfall. Mit einem solchen Handicap lässt sich nicht segeln, schon gar nicht in arktischen Gefilden auf einem umgebauten Fischkutter. Eine der zehn Kojen blieb folglich leer, als die „Dagmar Aaen“ am Dienstagmittag in Kiel in See stach. Kapitän Arved Fuchs ist im Dienst der Wissenschaft mit seiner überwiegend jungen, internationalen Crew zur Bäreninsel aufgebrochen, einem unbewohnten norwegischen Eiland in der Barentssee südlich von Spitzbergen.
1800 Seemeilen liegen bis zum Ziel vor dem eisgängigen Schiff und der Mannschaft. Die Zahl der Toiletten an Bord für die nächsten drei Monate: zwei. Duschen: keine. Süßwasser wird aus Meerwasser gewonnen.
An der norwegischen Küste soll eine neue Kochkraft dazustoßen. Proviant ist verstaut unter den Sitzbänken: Reis, Nudeln, Konserven. Frisches wird unterwegs gekauft. „Das Wichtigste ist der Kaffee“, sagt Fuchs.
Den wird die Besatzung brauchen: Alle acht Stunden müssen drei Mitglieder für vier Stunden bei jedem Wind und Wellengang raus. Und wenn das rund 100 Quadratmeter große Hauptsegel hochgezogen wird, müssen sich mindestens fünf Männer und Frauen ins Zeug legen. Alle sind freiwillig hier, viele opfern ihren Urlaub, bezahlt wird niemand. Ein Kinderarzt ist dabei und ein frischgebackener Abiturient.
Vor allem ist das rund 20 Meter lange, fünf Meter breite und bald 100 Jahre alte Holzschiff mit Hightech vollgestopft. Permanent werden Salz-, Sauerstoff- und Chlorophyllgehalt, CO2-Sättigung sowie die Temperatur des Meerwassers gemessen. Die Daten werden in Zusammenarbeit mit dem Geomar-Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Drifter-Bojen sollen ausgesetzt werden, die per Satellit Informationen an den Deutschen Wetterdienst überspielen. Eine der wichtigsten Fragen bei der Expedition mit dem Titel „Ocean Change 2024“: Wie wirkt sich der überhitzte Atlantik auf die Meeresumwelt aus?
Manche mögen sich noch an den Abenteurer Arved Fuchs erinnern, der vor Jahrzehnten per Paddelboot Kap Hoorn im Winter umrundete, als erster Mensch innerhalb eines Jahres zu Fuß sowohl Nord- als auch Südpol bezwang und das grönländische Inlandeis mit Hundeschlitten durchquerte.
Einen Tag vor Abfahrt saß der heute 71-Jährige noch entspannt in seinem Haus in Bad Bramstedt und sagte: „Ich muss mir oder der Welt nicht mehr beweisen, das ich als Erster irgendwo hinlaufen oder -segeln kann. Ich habe aber das Schiff, ein gutes Team und die Expertise, so etwas zu unternehmen.“ Deshalb will er den Menschen den „Ozean ins Wohnzimmer bringen“. Viele hätten noch nicht begriffen: „Das Meer ist mehr als eine touristische Destination mit Strandkörben.“ Es ist das Frühwarnsystem für die globale Erwärmung. Fuchs hat den Schutz der Meere schon lange auf seiner Agenda, aber nie war die Sache dringlicher: „Das Klima lässt sich nicht zurückstufen, und die Folgen sind bereits unübersehbar.“ Das erlebe er als „Zeuge des Klimawandels“ unterwegs: Wo er einst auf undurchdringliches Packeis stieß, könne man heute problemlos manövrieren.
So bahnte sich die „Dagmar Aaen“ am Dienstag mit gesetzten Segeln ihren Weg aus der Kieler Förde. Mitte September soll sie in Flensburg wieder festmachen. Läuft alles nach Plan, ist dann ein Koch an Bord.