„Das ist eine Invasion“

Mehr als 20 Millionen Urlauber erwartet Mallorca in diesem Jahr. Die Einheimischen wehren sich gegen volle Strände und laute Partygäste. Können Alkoholverbote das Image der Balearen-Insel retten?

Ausgabe vom 19.06.2024
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Von Miriam Keilbach


Sinnbild der Fehlentwicklung: Am 23. Mai 2023 stürzte die Dachterrasse des Strandclubs Medusa ein, vier Menschen starben.Foto: Miriam Keilbach
Menschenmassen am Strand von Arenal: 18 Millionen Gäste kamen 2023 nach Mallorca, in diesem Jahr sollen es noch mehr werden. Foto: Clara Margais/dpa

Palma. Zehn Männer, allesamt haben sie die gleiche pinke Badehose mit floralem Muster an. Vier tragen einen riesigen Papagei, der als Schlauchboot dienen soll, vier weitere ein übergroßes Einhorn. Zwei trotten müde hinterher ins Wasser, jeweils eine Dose Krombacher in der Hand, einer auch eine Zigarette. „Ma-, Ma-, Malle-Moment“ singt plötzlich einer lautstark und schwingt seine Badehose über dem Wasser. Zwei weitere steigen ein, auch sie haben sich inzwischen unter Wasser nackt gemacht.

Es ist ein Donnerstag, 11 Uhr am Morgen, am Ballermann auf Mallorca. Eigentlich herrscht hier Alkoholverbot. Seit Anfang Mai gilt ein Dekret, nach dem der Alkoholkonsum auf offener Straße untersagt ist. 1500 Euro Strafe kostet es, mit einer offenen Dose Bier vom Hotel zum Strand zu gehen. Jaime Martínez, noch kein Jahr Bürgermeister von Palma, hatte das durchgesetzt. Er will dem Sauftourismus Einhalt gebieten, nachdem Verbote von Happy Hour, Eimersaufen, Rabatte auf Alkohol und All-Inclusive-Angeboten nicht den gewünschten Erfolg brachten. Als nächstes sollen Partyboote verboten, die Anzahl von Kreuzfahrtschiffen minimiert und die Gruppengrößen von Sightseeing-Touren in Palma verkleinert werden.

Nur: Es interessiert am Ballermann nicht. Schon früh am Morgen verkaufen Strandhändlerinnen und Strandhändler große Plastikbecher gefüllt mit Sangria und Mojito, in einigen Souvenirläden wird mit gekühltem Bier geworben. Am Pfingstwochenende griff die Polizei noch durch, auch deutsche Urlaubsgäste mussten für die Dose Bier mehr als für den gesamten Urlaub zahlen. Inzwischen schaut die Polizei nicht mehr hin, wenn Fußballmannschaften, Junggesellenabschiede und Cliquen mit Flaschen, Dosen, Eimern durch S‘Arenal und rund um die Platja de Palma ziehen.

„Die Verbote klangen erst einmal drastisch“, sagt Ballermann-Urgestein Gerlinde Weiniger. Seit rund 40 Jahren ist sie auf der Insel, betreibt die Restaurants der Marke „Münchner Kindl“. „Man weiß, dass die Spitze erreicht ist, dass man dem touristischen Wachstum Einhalt gebieten muss.“ Weininger kennt noch die Zeiten, an denen am Ballermann alles erlaubt war. Als Menschen Eimer im Supermarkt kauften und mit Rotwein und Sherry füllten. Als der billige Alkohol in Cocktails nicht abgemessen wurde. „Es ist schwer, die Gewohnheiten zu ändern“, sagt die 64-Jährige.

Eingestürzte Strandbar

Die gebürtige Oberpfälzerin glaubt, dass es nicht der richtige Ansatz ist, nur gegen Partytourismus vorzugehen. Es ist nicht nur der Alkohol, der die Probleme bereitet. „Man kann Touristen nicht an allem die Schuld geben.“ Ja, da seien die Menschen, die für „ein einziges, unkontrolliertes Besäufnis“ nach Mallorca kämen, aber vor allem geht es um Ressourcen. „Man muss den Tourismus besser verteilen und keine Lizenzen für neue Unterkünfte mehr erteilen“, sagt sie.

Zuletzt hatten sich Situationen gehäuft, in denen Wohnraum zweckentfremdet wurde: Menschen hatten an Partytouristen vermietet, mitten in ruhigen Wohnanlagen. Während die einen die Nacht durchfeierten, mit Musik und Alkohol, konnten die anderen zwischen anstrengenden Arbeitstagen keine Erholung finden. Und so dienen die neuen Regeln gegen den Sauftourismus auch mehr der Besänftigung, als das tatsächliche Problem anzugehen.

Einiges ist in den vergangenen Jahren schiefgelaufen auf Mallorca. Der Tourismus ist entfesselt. 18 Millionen Gäste kamen im vergangenen Jahr, in diesem wird wahrscheinlich die 20-Millionen-Marke geknackt. 85 000 Mietwagen sind auf der Insel im Einsatz, verstopfen zusammen mit den 700 000 Autos der Einheimischen die Straßen. 200 000 Radurlauber kommen dazu. An einigen Tagen hetzen 35 000 Kreuzfahrtreisende durch die Inselhauptstadt Palma. Mehr als ein Flugzeug pro Minute, das startet oder landet. Restaurants haben so viel Zulauf, dass sie sich massiv in den öffentlichen Raum ausbreiten.

Zum Sinnbild für die Fehlentwicklungen wurde eine Katastrophe: Am 23. Mai stürzte in Palma die illegal gebaute Dachterrasse des Strandclubs Medusa ein. Mehr Fläche, mehr Menschen, die konsumieren, mehr Geld. Am Ende waren vier Menschen tot. Zwei Wochen später hängen Blumen, Stofftiere, Kerzen, Fotos, Merchandise am Gitter. Während einige innehalten, stimmt keine zehn Meter weiter eine Gruppe „Allee, Allee, eine Straße, viele Bäume“ an. Die Party muss weitergehen.

„Es gibt keine Alternative zum Tourismus, alle verdienen damit ihr Geld. Es gibt keine Industrie, keine Verwaltung“, sagt „Kindl“-Wirtin Weininger. Der Tourismus sorge für Wohlstand. Das gilt aber nicht für alle auf der Insel. Mit einem Bruttogehalt von 1650 Euro pro Monat gehören die Mallorquiner zu den Geringverdienern Spaniens. Durchschnittlich 13,80 Euro pro Quadratmeter für eine Mietwohnung und 4083 Euro pro Quadratmeter für ein Eigenheim stehen dem gegenüber. Nirgendwo in Spanien ist Wohnen so teuer. Ein Drittel der Immobilien wird inzwischen an Ausländer und Investmentfonds verkauft.

Das sorgt für Widerstand. Mehrere Initiativen gründeten sich in den vergangenen Wochen, um gegen den Massentourismus und seine Folgen zu protestieren. Am vergangenen Wochenende im Fokus: Die einst malerische Bucht Caló des Moro, noch so ein Sinnbild für Fehlentwicklungen. Bis zur Pandemie war der Strand ein Geheimtipp. Nur wenige nahmen den beschwerlichen Weg steil bergab über Felsen in Kauf, um den abgelegenen Strand an einem Privatgelände zu besuchen. Doch dann verbreiteten sich Fotos auf Instagram.

Bereits im Mai sperrt die Polizei die Zufahrt zur Bucht. Dennoch liegen die Menschen Handtuch auf Handtuch. Als kürzlich ein Video vom überfüllten Strand in den sozialen Medien die Runde machte, herrschte Entsetzen. Auf X schrieb ein Einheimischer: „Das ist kein Tourismus, das ist eine Invasion“. Der schmale Weg zur Bucht ist geziert von Schmierereien auf den Wegweisern. „Tourist go home“ steht da, oder: „You are not welcome here.“

Vom Strand verdrängt

Die zuständige Bürgermeisterin Maria Pons warnte vor einigen Tagen davor, dass es bald keine Bucht mehr geben könnte, zu groß sei die Abnutzung durch die bis zu 4000 Touristinnen und Touristen täglich. Sie forderte eine Verschnaufpause – für die Bucht, aber auch für die Anwohnerinnen und Anwohner, die mit Steuergeldern für Reinigung und Instandhaltung zahlen müssen, gleichzeitig aber Verkehrschaos und Lärm ausgesetzt sind.

Ohnehin haben viele Mallorquiner genug von der Verdrängung auf ihrer eigenen Insel. Nachdem eine Politikerin kürzlich sagte, man müsse sich damit abfinden, im Sommer nicht mehr an den Strand gehen zu können, begann die Bürgerinitiative „Ocupemos nuestras playas“ Strände zu besetzen. Am Sonntag war es Caló des Moro. Urlaubende wurden am Sonntag abgewiesen, mit Plakaten, Bannern und eindeutigen Botschaften. Laut riefen die Einheimischen: „Touristen raus!“.

„Wir sind nicht gegen Tourismus, Touristen sind willkommen“, sagt Jorge Rodriguez. Er ist Teil des Netzwerkes „Banc de Temps“, eine lokale Initiative im Ort Sencelles im Inselinneren. Sencelles ist das Dorf, das den Protest gegen die Auswirkungen des Massentourismus ausgelöst hat. Das Dorf mit Sandstein-Häusern, einige in die Jahre gekommen, und der markanten Kirche, um die herum bunte Bänke und Pflanzen aufgestellt sind, hat genug vom Tourismus, wenngleich sich gar nicht so viele Reisende hierhin verirren.

Aber: „Tourismus hat eine Auswirkung auf unser soziales Leben“, sagt der 36-jährige Rodriguez. Er berichtet von einer Freundin, die kurz nach der Geburt ihres Kindes ihr Haus in Sencelles verlassen musste. Doch sie fand nichts Neues. Unter 1000 Euro sei keine Wohnung mehr im Dorf zu bekommen. Sie wird die Insel wohl verlassen müssen.

Eigentlich kümmert sich „Banc de Temps“ um Nachbarschaftsangelegenheiten. Laura Peréz gründete die Initiative vor rund zehn Jahren mit. „Wir wollten uns als Nachbarn unterstützen“, sagt sie. Man kauft zusammen ein, leiht sich Werkzeug, gestaltet die Gemeinschaft. Als immer mehr Mitglieder keinen Wohnraum mehr fanden, als das soziale Gefüge Risse bekam, machte die Gruppe ein Video, das Zehntausende erreichte. „Mallorca no es ven“ machten sie zu ihrem Schlachtruf, Mallorca ist nicht zu verkaufen.

„Wir wollen den Tourismus nicht abschaffen, aber es wurden Grenzen überschritten, beziehungsweise hat die Regierung keine Grenzen festgelegt“, sagt Rodriguez. „Das ist inzwischen völlig aus dem Ruder gelaufen.“ Es geht um die Frage der Ressourcen, immerhin ist nur begrenzt Platz. Man habe sich damit abgefunden, dass man als einer der Partyorte der Welt gelte, was fürs Ökosystem schade sei, aber damit komme man klar. „Aber ohne uns Menschen ist Mallorca ein Ort ohne Seele.“

Suche nach Lösungen

Die Demonstration, die Ende Mai für Schlagzeilen sorgte, hatte seine Gruppe angemeldet. Mit 2000 Teilnehmenden haben sie gerechnet. Es kamen nach Polizeiangaben 10 000, laut Organisation 25 000. Dass nun einzelne als Sprachrohr gesehen werden, die Touristen angehen, nicht die Entwicklungen an sich, macht Rodriguez wütend. „Das ist sicher eine Botschaft, aber es ist nicht unsere Botschaft“, sagt er. Sein Kollektiv wolle schlicht das Leben wieder lebenswerter machen. „Es gibt kein Bewusstsein für die Leute, die hier leben, es wird einfach kompliziert, wenn aus deinem Leben ein Geschäft wird.“

Die Inselregierung bleibt zaghaft. Auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland wollten sich weder Bürgermeister noch Polizei äußern. Die Tourismusbehörde wolle klarstellen, dass Touristen willkommen seien, so Sprecher Luis Pomar. Schon allein, weil sie der „führende Wirtschaftsmotor“ seien. Die Demonstrationen „sollten uns nicht beunruhigen, sondern dazu animieren, nach Lösungen zu suchen.“ Man habe nun ein Projekt für politisch-sozialen Tourismus gestartet, eine Arbeitsgruppe, zu der Branchenvertreter gehören. Der Protest indes, er geht weiter.