Die Gefahr war nie
so groß wie jetzt

Ausgabe vom 19.06.2024
Seite 2 - 3
Von Markus Decker



Der neue Verfassungsschutzbericht fällt ziemlich genau so aus, wie man es erwarten konnte: Es gibt immer mehr Ex­tre­mis­ten und immer mehr Gewalt. Und zu den Angriffen von innen gesellen sich jene von außen. Russland und China haben Deutschland fest ins Visier genommen. Sie arbeiten mit Spionage, Sabotage und Cyberangriffen. Und sie kooperieren in Teilen mit der AfD.

Trotzdem ist etwas grundlegend anders geworden – etwas, das nicht im Verfassungsschutzbericht steht. Anders ist, dass eine Mehrheit der Wählerinnen und Wähler in Teilen dieser Re­pu­blik mittlerweile für die AfD stimmt. Dazu gesellt sich der Aufstieg des Bündnisses Sahra Wagenknecht, das in der jüngsten Umfrage für Thüringen auf 21 Prozent kommt und gemeinsam mit der selbst ernannten Alternative für Deutschland auf 49 Prozent. Nein, das BSW ist nicht ex­tre­mis­tisch. Dessen thüringische Frontfrau Katja Wolf genießt im Freistaat sogar einen guten Ruf. Doch die Vertreterinnen und Vertreter des BSW auf Bundesebene zeigen sich ein ums andere Mal sehr Russland-nah. Aus der Stärke von AfD und BSW ergibt sich damit eine Verschränkung der Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat durch innere und äußere Kräfte. Sie ist in der Nachkriegsgeschichte ohne Beispiel. Und sie stellt auch die Handlungsfähigkeit des Staates infrage.

Sicher, das Bundesinnenministerium und die ihm unterstehenden Sicherheitsbehörden lassen es an Klarheit und Entschlossenheit nicht fehlen. Innenministerin Nancy Faeser und Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang sind beim Kampf gegen Ex­tre­mis­ten jedweder Cou­leur gleichermaßen glaubwürdig. Freilich gibt es auf gesetzgeberischer Ebene mittlerweile eine lang und länger werdende Mängelliste. Die Verschärfung des Waffenrechts kommt ebenso wenig voran wie das Demokratiefördergesetz, die Erweiterung der Verfassungsschutzkompetenz bei der Recherche von Finanzströmen, die Ausweitung der Behördenbefugnisse bei der Abwehr von Cyberattacken oder das Verbot des Islamischen Zen­trums in Hamburg. Es fehlt im Ministerium an Durchschlagskraft. Zudem stoßen die Sicherheitsbehörden an objektive Grenzen. Früher wurde die Demokratie von mehr oder minder im Dunklen operierenden Randgruppen angegriffen. Der Verfassungsschutzbericht zerrte sie ins Licht. Wer dort auftauchte, war geächtet.

Das ist vorbei. Millionen Wählerinnen und Wähler, die ihrerseits den Staat ächten, setzen sich darüber hinweg. Ja, es besteht längst das reale Risiko, dass Ex­tre­mis­ten selbst Kon­trol­le über die Sicherheitsbehörden erlangen. Deshalb gilt: Wenn ein nennenswerter Teil dieser Wähler nicht zur Vernunft kommt, dann ist der Kampf gegen den Ex­tre­mis­mus zwar nicht verloren, aber er ist unter diesen Umständen leider auch nicht wirklich zu gewinnen.